Interviews

Interview-Auszüge

Einige der Interviews, die mit Gerold Tietz geführt wurden, sind erhalten. Neben der schriftlichen Abschrift eines Interviews mit dem Presse-Büro Rapp Hirrlinger finden Sie auf dieser Seite Ausschnitte aus Interview-Tonspuren (Radio-Interviews, z.B. vom Freien Radio Stuttgart), die thematisch zusammengeschnitten und aufbereitet wurden.

Interview-Abschrift
(Interview mit seinem Pressebüro)

Radio-Interviews (O-Ton)

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Interview mit Gerold Tietz | 2005

Das nachstehend abgedruckte Interview mit Gerold Tietz wurde von Ulrike Rapp-Hirrlinger im Juni 2005 geführt. Die Interviewfragen sowie insbesondere die Antworten des Schriftstellers porträtieren den Autor indirekt:

Anschreiben gegen zementierte Vorurteile

Der Esslinger Autor Gerold Tietz entwirft ein differenziertes Bild des Zusammenlebens von Tschechen, Juden und Deutschen. Seine böhmischen Dörfer sind ihm ans Herz gewachsen. Und doch geht es dem Esslinger Autor Gerold Tietz – 1941 in Böhmen geboren und 1945 mit seiner Familie vertrieben – darum, in seinen Erzählungen und Romanen ein differenziertes Bild vom Zusammenleben von Tschechen, Juden und Deutschen, von Flucht, Vertreibung und gegenseitigem Unrecht zu zeichnen. Im Interview schildert der promovierte Historiker unter anderem, warum ihn seine böhmischen Dörfer nicht loslassen.

Frage:

»Ihre Böhmische Fuge wird jetzt ins Tschechische übersetzt. Was bedeutet dies für Sie?«

Gerold Tietz:

»Ich freue mich, dass Sudetendeutsche und Tschechen endlich bereit sind, einander zuzuhören und sich ihre Geschichten zu erzählen. So können sie auch ihre gegeseitigen Ängste und Verletzungen besser verstehen. Dann werden sie sich nicht mehr fremd oder feindlich gegenüber stehen, sondern sich als Nachbarn begreifen, die viel mehr Gemeinsames als Trennendes haben.«

Frage:

»Ist dies für Sie auch Signal einer politisch-gesellschaftlichen Stimmungsänderung?«

Gerold Tietz:

»Ich war überrascht, wie positiv die Studenten an der mährischen Unviersität Olomouc bei einer Lesung auf meine Texte reagiert haben. Heute kann man viel leichter über gegenseitige Vorurteile und Ressentiments sprechen. Ich glaube, diese Studenten haben verstanden, dass die ‚Böhmische Fuge‘ ein Echo ist auf die Stimme von Vaclav Havel, der sagte: „Wenn wir nicht aufhören, uns gegenseitig nur Rechnungen zu schicken, kommen wir alle in die Hölle.“«

Frage:

»Auch eine Neuauflage auf Deutsch wird demnächst erscheinen. Wie zeitgemäß ist das Thema heute noch?«

Gerold Tietz:

»Als das Buch 1997 herauskam, wurde es kaum wahrgenommen. Offenbar war die Zeit noch nicht reif dafür. Heute dagegen sind Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg und Kriegskinder Gegenstand der Diskussionen und der Literatur. Die ‚Böhmische Fuge‘ beschränkt sich nicht darauf, das große Trauma der Sudetendeutschen, die Vertreibung, darzustellen, sondern geht auch auf die Verletzungen und Ängste der Tschechen ein. In einer Zeit, in der ethnische Vertreibungen fast auf der Tagesordnung stehen, ist dieses Buch aktueller denn je.«

Frage:

»Das Zusammenleben von Tschechen, Juden und Deutschen zwischen den beiden Weltkriegen lässt Sie nicht los. Ihr neuer Roman Große Zeiten – Kleines Glück handelt wieder davon. Worum geht es darin?«

Gerold Tietz:

»Es ist die Geschichte einer jungen Frau in Prag in der Zwischenkriegszeit. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen ändert sich ihr ganzes Leben. Alle menschlichen Beziehungen werden auf die Probe gestellt. Das jahrhundertealte Miteinander von Tschechen, Juden und Deutschen wird mehr und mehr zum Gegeneinander.«

Frage:

»Wie spielt Ihre eigene Biografie in Ihr Werk hinein?«

Gerold Tietz:

»Ich bin selbst in Horka, einem nordböhmischen Dorf geboren. Nach der Vertreibung wechselte ich vom böhmischen Meer zum Chiemsee. Dort wurde ich als ‚Saupreuß‘ gehandelt, an der Donau in Württemberg dann als ‚Reingeschmeckter‘ und ‚Polack‘. So bin ich im sudetendeutschen Milieu aufgewachsen und habe die Geschichten, die ich gehört habe, gesammelt. Ergiebig waren in dieser Beziehung vor allem die Sudetendeutschen Tage, eine Mischung von Volksgruppenparteitag, Stammtisch und Heiratsmarkt.«

Frage:

»Viele Vertriebene idealisieren ihre Heimat. Welchen Weg gehen Sie im Umgang mit Ihren ‚Böhmischen Dörfern‘?«

Gerold Tietz:

»Böhmische Dörfer sind für mich keine Postkartenbilder, umkränzt von Lindenblättern und Eichenlaub, sondern magische Orte, wo man das menschliche Zusammenleben modellhaft sichtbar machen kann. So vernagelt das böhmische Dorf manchmal auch aussehen mag, so scheint doch durch seine Bretterzäune die ganze Welt hindurch. Die universellen Fragen menschlichen Handelns, die Absurditäten und die Paradoxa des Lebens lassen sich im Lokalen besonders gut darstellen.«

Frage:

»Die Vertriebenenverbände waren Ihnen nicht immer grün. Hat sich das geändert?«

Gerold Tietz:

»In den 50er Jahren bin ich in einer Art sudetendeutscher Wagenburg aufgewachsen. Da wurde die Welt eingeteilt in Sudetendeutsche und Nicht-Sudetendeutsche. Da gab es nur die guten Deutschen und die bösen Tschechen. Als ich dann eine waschechte Alemannin geheiratet habe, galt das ja fast als ‚Rassenschande‘. In meiner Familie wurde nur immer von dem Unrecht gesprochen, das man selbst erlitten hatte. Vom KZ Theresienstadt oder dem Massenmord von Lidice war nie die Rede. Mir reichte dies nie aus. Ich wollte ein differenziertes Bild der deutsch-tschechischen Realität entwerfen. Ich habe schon früh zu meinen tschechischen Verwandten und polnischen und tschechischen Studenten Kontakt gesucht. Das wurde lange als Nestbeschmutzung gewertet. Heutet hat sich dies jedoch glücklicherweise weitgehend geändert.«

Frage:

»In Ihren ‚Satiralien‘ machen Sie Lust auf Unbotmäßigkeit und Unangepasstheit. Schwimmen Sie gerne gegen den Strom?«

Gerold Tietz:

»Ich glaube, gegen den Strom zu schwimmen ist für einen Schreibenden die einzig mögliche Richtung. Schon als Schüler und Student habe ich so viele Halbwahrheiten und Lügen aufgetischt bekommen, dass ich mich damit einfach auseinandersetzen musste. Wer mit dem Fragen und Hinterfragen anfängt, der kann nicht so schnell damit aufhören. Er muss genau hinsehen und wird rasch feststellen, dass das Wegsehen, Verdrängen und Beschönigen oft das Verhalten der Menschen bestimmt – besonders dann, wenn sie unter Druck geraten. Nur wenn man sich dem Strom der Anpssung widersetzt, lässt sich ein eigener Handlungsspielraum gewinnen.«

Abdruck des Interviews vom 29.6.2005 mit freundlicher Genehmigung des Pressebüros Rapp-Hirrlinger.

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Sequenzen aus Radio-Interviews

Wie Gerold Tietz zum Schreiben fand

In den hier zusammengestellten Interview-Ausschnitten (im Wesentlichen – wie auch die weiteren Interview-Sequenzen – geführt vom Freien Radio Stuttgart sowie Listy) legt Gerold Tietz dar, wie er zum Schreiben fand, worin er seinen Themenschwerpunkt fand, auf welche Quellen er zurückgriff, und welche Intention seine schriftstellerische Tätigkeit verfolgt.

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Gerold Tietz über die ‚Böhmische Fuge‘

Gerold Tietz umreißt die Figuren seines Romans Böhmische Fuge, einer Familiengeschichte seit Beginn des 20. Jahrhunderts: vom Großvater, der noch zur Erlebensgeneration des Habsburger Reichs zählt und der sich mit dessen Zerfall zum Nazi entwickelt, über die Schwiegertochter, einer Absolventin einer katholischen Klosterschule, bis zu ihrem Sohn, aus dessen Perspektive der Roman entstanden ist. Daneben finden Persönlichkeiten wie Fritz Löhner-Beda und Karel Čapek Eingang in Tietz‘ Böhmische Fuge.

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Der Autor über sein ‚Böhmisches Richtfest‘

Gerold Tietz skizziert in diesem Interview zu seinem Roman Böhmisches Richtfest den zeitlichen Bogen des Buchs – von der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre – sowie den inhaltlichen Fokus: das Leben der Sudetendeutschen und ihre Rolle in Deutschland als auch im Hinblick auf ihre alte Heimat. Tietz gibt außerdem Einblicke, welche Bedeutung der Buchtiltel ‚Böhmisches Richtfest‘ hat und was dies mit Aktivitäten der jüngeren Vergangenheit in Deutschland und Tschechien zu tun hat.

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Tietz über seinen Roman ‚Böhmische Grätschen‘

Gerold Tietz geht in aller Kürze darauf ein, dass in seinem letzten Trilogie-Roman Böhmische Grätschen nunmehr die tschechische Familiengeschichte im Vordergrund steht – angefangen von der Nazizeit über die Zeit des Stalinismus bis zur sogenannten Samtenen Revolution 1989. Tietz‘ Roman zeigt dabei nicht zuletzt auch die Mechanismen von Diktaturen auf, und wie sich diese auf das Leben der Menschen auswirken.

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Der Schriftsteller über Böhmen & Europa

Gerold Tietz erzählt in den hier zusammengeschnittenen Interview-Sequenzen, wie das Leben von Deutschen, Tschechen und Juden, aber auch Slowaken und Ungarn, vor der Vertreibung charakterisiert war, welch vielfältige Schmähungen dem Protagonisten seiner böhmischen Romane im Zuge der Vertreibung in Bayern und Baden-Württemberg zugedacht wurden, und welche Auswirkungen seine Herkunft selbst in Paris noch hatte. Tietz stellt die Herkunft seiner Hauptfigur aus Horka in den Kontext Europas, spannt einen Bogen von Karel Hynek Mácha bis Václav Havel, und er stellt klar, dass der Protagonist seiner Romane die Heimat Böhmen nicht lamentierend zurückholen möchte, sondern dass er sie in eben diesen europäischen Kontext der Gegenwart stellen möchte.

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Tietz zu Dubček & dem Prager Frühling 1968

Gerold Tietz erinnert sich in diesem Interview, wie er die Zeit des Prager Frühlings 1968 von Deutschland aus erlebte und einschätzte, welche Parallelen er zum Ungarischen Aufstand von 1956 sah, wie ihm die Haltung der Führung um Dubček und Kriegel bei den Kommunisten in Moskau imponierte – und weshalb er sogar 10 Jahre lang ein Dubček-Poster im Wohnzimmer hängen hatte.

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Leben als, mit & gegen die Sudetendeutschen

Gerold Tietz nimmt in diesem Interview Stellung zu der Frage, wie es gewesen sei, als Flüchtling in Deutschland zu leben. Neben persönlichen Erfahrungen zwischen Vorurteilen und Desinteresse beleuchtet Tietz dabei aus verschiedenen Blickwinkeln die (Doppel-) Rolle und das politische Interesse der sudetendeutschen Landsmannschaften – bis hin zu deren Blockierungsversuchen der Anerkennung der Nachkriegsgrenzen und der sogenannten Ostverträge. Tietz, der die Ideen von Willy Brandt unterstützte, wurde daraufhin innerhalb der Sudetendeutschen als Verräter angegriffen – was den Querdenker Tietz nicht daran hinderte auch geschichtlich auf kritische Distanz zu gehen. So bezeichnet der Schriftsteller den Versuch während der Nazizeit, die polnische & tschechische Kultur in Böhmen zu vernichten, als einen Akt der Selbstzerstörung angesichts der verwobenen Kulturgeschichte: eine gemeinsame, über-nationalale Kultur, die über Jahrhunderte der europäischen Geschichte zurückreicht. Tietz legt mit der Zuweisung der Verantwortung den Finger noch tiefer in die Wunde, indem er daran erinnert, dass diese Selbstzerstörung absehbar war, dass kluge und weitsichtige Köpfe wie Karel Čapek bereits 1938 öffentlich darauf hinwiesen und dazu aufriefen, sich von Hitler abzuwenden – was aber bei den Sudentendeutschen damals kein Gehör fand. Insofern scheint es auch nicht übermäßig verwunderlich, dass Gerold Tietz seitens sudetendeutscher Landsmannschaftsvertreter selbst bis ins dritte Jahrtausend immer wieder vorgeworfen wurde, dass die Sudetendeutschen in seinen Büchern zu schlecht wegkämen, die Tschechen hingegen zu gut – und dass er überhaupt auch viel zu viel über die Juden schreibe.

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