Nachrufe

Zum Tod von Gerold Tietz

Auf dieser Seite finden Sie Nachrufe für Gerold Tietz, sowohl beruflich-förmliche als auch ganz persönliche. Auf Basis der einzelnen Nachrufe wurden jeweils ein paar repräsentative Kurzpassagen vorangestellt; der dazugehörige Volltext lässt sich immer durch Aufklappen des anschließenden [+] Links mit nur einem buchstäblichen Klick anzeigen.

Folgende Nachrufe liegen in elektronischer Form vor (die # Links lassen Sie direkt zum jeweiligen Nachruf springen):

Esslinger Zeitung

Stuttgarter Zeitung

Nürtinger Zeitung

Heinz Pötzl, Robert-Bosch-Gymnasium Wendlingen

Dr. Peter Kastner, Kultur-Referat der Stadt Esslingen

EZ | Stadtbücherei Esslingen

Martin Perraudin

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Esslinger Zeitung

Nachruf von Alexander Maier für Gerold Tietz aus der Esslinger Zeitung vom 28.7.2009:

»[…] Ein unermüdlicher Brückenbauer und Ermutiger […] Ein Mann der lauten Töne war er nie, doch seine Worte hatten dafür umso mehr Gewicht. […] Viel wichtiger war es ihm, statt des Trennenden das Verbindende zu betonen. […] Er hat nicht versucht, zu beschönigen, wo es nichts zu beschönigen gibt. Denn er wusste: Nur wer auch Brüche und Widersprüchlichkeiten offen anspricht, kann gegenseitiges Vertrauen schaffen […] hat er meist versucht, die große Geschichte im Brennspiegel ganz persönlicher Erfahrungen zu thematisieren […] hat stets dafür geworben, sich der Geschichte zu vergewissern und daraus zu lernen. […]«

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»Ein unermüdlicher Brückenbauer und Ermutiger

Der Autor und Pädagoge Gerold Tietz ist im Alter von 67 Jahren gestorben

Ein Mann der lauten Töne war er nie, doch seine Worte hatten dafür umso mehr Gewicht. Denn der Esslinger Autor und Pädagoge Gerold Tietz überzeugte stets durch seine Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit. Für Generationen von Schülern war er als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Politik beispielgebend, eine Reihe respektabler Buchveröffentlichungen zieren seine Vita. Wie erst gestern bekannt wurde, ist Gerold Tietz am Freitag im Alter von 67 Jahren nach langer, schwerer Krankheit gestorben. Und bei denen, die ihn näher kannten, hinterlässt Tietz nicht nur als Literat, sondern mehr noch als Mensch eine schmerzliche Lücke.

Gerold Tietz wurde 1941 in Horka geboren – einem böhmischen Dorf, ‚das so klein ist, dass es auf den meisten Landkarten nicht mal erscheint‘. Gerade mal vier Jahre alt war er, als er mit seiner Familie vertrieben wurde. Und auch die ersten Jahre in der neuen Heimat waren nicht leicht für ihn. Viele wären den Vertreibern fortan nur noch mit Ablehnung begegnet, doch das war Gerold Tietz‘ Sache nicht. Viel wichtiger war es ihm, statt des Trennenden das Verbindende zu betonen. Denn er wusste nur zu gut, welche verhängnisvolle Saat aufgehen kann aus einem Boden, der getränkt ist mit Hass und Feindseligkeit.

Gegen jede Heimattümelei

Dieses Credo hat das literarische Schaffen von Gerold Tietz durchzogen. Geprägt von feinsinnigem Humor und Sinn für wohldosierte Ironie führte er lieber das elegante Florett als den schweren Säbel. Wo andere sich in vordergründiger Heimattümelei ergangen oder ‚gelogen, vertuscht und verschwiegen‘ haben, wie er mehr als einmal beklagte, hat er versucht, das Gemeinsame und Verbindende zu betonen. Flucht und Vertreibung, aber auch das zuvor so friedliche Zusammenleben von Tschechen, Deutschen und Juden hat er in seinen Romanen immer wieder thematisiert. Er hat nicht versucht, zu beschönigen, wo es nichts zu beschönigen gibt. Denn er wusste: Nur wer auch Brüche und Widersprüchlichkeiten offen anspricht, kann gegenseitiges Vertrauen schaffen, ohne das die Wunden der Vergangenheit niemals vernarben. Dass ihm das unter Heimatvertriebenen nicht nur Beifall eintrug, nahm er in Kauf: Gerold-Tietz-Schriftsteller-Autor-Logo-zwischen-den-Stuehlen ‚Zwischen den Stühlen fühle ich mich wohl. Das ist für einen Schreibenden der angemessene Platz.‘ Gerold-Tietz-Schriftsteller-Autor-Logo-zwischen-den-Stuehlen Und weil man seine Haltung auch anderswo zu schätzen weiß, wurde er 2006 für sein schriftstellerisches Werk mit dem ersten Preis der Künstlergilde für Kurzprosa und 2007 mit dem Sudetendeutschen Kulturpreis für Literatur ausgezeichnet.

Wenn der promovierte Historiker in Romanen wie ‚Böhmische Fuge‘, ‚Böhmisches Richtfest‘ oder zuletzt in ‚Böhmische Grätschen‘ über das wechselvolle Verhältnis von Tschechen und Deutschen schrieb, hat er meist versucht, die große Geschichte im Brennspiegel ganz persönlicher Erfahrungen zu thematisieren. ‚Das zu schreiben, was nicht in den Geschichtsbüchern steht‘, war sein besonderes Anliegen. Gerold Tietz, der seit 1969 mit seiner Frau, der Schriftstellerin Anne Birk, in Esslingen lebte und bis vor fünf Jahren am Wendlinger Robert-Bosch-Gymnasium unterrichtete, hat stets dafür geworben, sich der Geschichte zu vergewissern und daraus zu lernen. Gerold Tietz hat hingeschaut, wo andere lieber weggesehen haben. Und er hat viele, geprägt durch seine zutiefst humanistische Lebenseinstellung, dazu ermutigt, die Welt ein wenig lebenswerter zu machen. Darin war er nicht nur für viele seiner Schüler ein wichtiges Vorbild, sondern auch für manchen Lehrer-Kollegen, der sich seiner Verantwortung für die nächste Generation durch ihn noch bewusster wurde. Damit ist Gerold Tietz‘ Lebenswerk für viele über seinen Tod hinaus Verpflichtung.

Stadtbücherei und Kulturreferat planen eine Veranstaltung zum Gedenken an Gerold Tietz. Der genaue Termin wird noch bekanntgegeben.«

Autor: Alexander Maier

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Stuttgarter Zeitung

Nachruf für Gerold Tietz aus der Stuttgarter Zeitung/ Filderzeitung vom 28.7.2009:

»[…] Vermittler zwischen Ost und West […] Sein Schreiben zeigte einen scharfen Intellekt mit einem Hieb zum Satirischen […] Seine Romane haben immer bewusst die tschechische Kultur zum Thema gehabt. Er war ein großer Brückenbauer zwischen Ost und West, der seinen Platz in der Stadtgeschichte verdient hat. […]«

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»Vermittler zwischen Ost und West

Der Esslinger Schriftsteller Gerold Tietz ist am Freitag im Alter von 67 Jahren gestorben. Tietz war einer der bedeutenderen Esslinger Literaten. Sein Schreiben zeigte einen scharfen Intellekt mit einem Hieb zum Satirischen; ein Schreiben, das dann doch wieder in die Liebe zu Land und Landsleuten mündete: Es war die Liebe zu einem Land, das nicht mehr existiert. 1941 in Horka in Nordböhmen geboren, erlebte Gerold Tietz Flucht und Vertreibung und fand in Esslingen eine neue Heimat. Gegen dieses lebenslange Trauma setzte er auf Frieden und Versöhnung. Seine Romane haben immer bewusst die tschechische Kultur zum Thema gehabt. Er war ein großer Brückenbauer zwischen Ost und West, der seinen Platz in der Stadtgeschichte verdient hat.«

Autor: uls

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Nürtinger Zeitung

Nachruf für Gerold Tietz aus der Nürtinger Zeitung vom 29.7.2009:

»[…] Geboren wurde Gerold Tietz 1941 in Horka in Tschechien. Von dort wurde seine Familie 1945 vertrieben. […] Flucht und Vertreibung, vor allem aber das friedliche Zusammenleben zwischen Juden, Tschechen und Deutschen hat er immer wieder in seinen Romanen thematisiert. […] Nicht das Eindeutige, sondern vielmehr Brüche und Widersprüche interessierten den Autor […]«

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»Zum Tod von Dr. Tietz

Nach langer schwerer Krankheit ist der Esslinger Schriftsteller Dr. Gerold Tietz am Freitag im Alter von 67 Jahren gestorben. Der promovierte Historiker lebte in Esslingen und unterrichtete bis zum Jahr 2004 am Wendlinger Robert-Bosch-Gymnasium. Geboren wurde Gerold Tietz 1941 in Horka in Tschechien. Von dort wurde seine Familie 1945 vertrieben. Seine ‚böhmischen Dörfer‘ aber ließen ihn nicht los. Flucht und Vertreibung, vor allem aber das friedliche Zusammenleben zwischen Juden, Tschechen und Deutschen hat er immer wieder in seinen Romanen thematisiert. Gerold Tietz ging es nicht um Polarisierung, er wollte die gemeinsamen Wurzeln von Tschechen und Deutschen sichtbar machen und die Geschichte der Vertreibung kritisch beleuchten. Nicht das Eindeutige, sondern vielmehr Brüche und Widersprüche interessierten den Autor, der von sich selbst sagte: Gerold-Tietz-Schriftsteller-Autor-Logo-zwischen-den-Stuehlen ‚Zwischen den Stühlen fühle ich mich wohl. Das ist für einen Schreibenden der angemessene Platz.‘ Gerold-Tietz-Schriftsteller-Autor-Logo-zwischen-den-Stuehlen Für sein schriftstellerisches Werk wurde Gerold Tietz 2006 mit dem 1. Preis der Künstlergilde Esslingen für Kurzprosa und 2007 mit dem Sudetendeutschen Kulturpreis für Literatur ausgezeichnet. 2006 wurde er in die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste berufen.«

Autor: rh

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Heinz Pötzl

Nachruf für Gerold Tietz, gehalten von Heinz Pötzl (Robert-Bosch-Gymnasium Wendlingen) auf der Trauerfeier am 30. Juli 2009, Friedhof Esslingen St. Bernhardt:

»[…] Gerold war sehr gerne Lehrer und wusste die Schüler zu begeistern: Weil er ihnen nicht nur Wissen vermittelte, sondern sie stets als Mensch ernst nahm und ihnen mit Achtung begegnete. […] Er war das Zentrum unserer Lehrer-Schüler-Gruppe, die sich, seit den frühen 80er Jahren, über 20 Jahre mit Veranstaltungen und Aktionen zum Themenkreis Frieden und Abrüstung engagierte. Zu einer Zeit, als diese Themen auf heftige politische Vorbehalte stießen und im offiziellen Rahmen, z.B. in der Schule, nicht erwünscht waren. […] Er hat uns mit seinem Wissen, seinen Ideen und seinem unermüdlichen Engagement immer wieder aufgerichtet und mitgezogen. […] Er war ein wundervoller Mensch. […]«

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»Sehr geehrte Trauergemeinde!

Als ehemaliger Kollege von Gerold Tietz am Robert-Bosch-Gymnasium in Wendlingen möchte ich für die mit ihm befreundeten Kolleginnen und Kollegen ein paar wenige Worte an Sie richten – die aber nicht im Entferntesten ausdrücken können, was wir wirklich für ihn empfinden.

Gerold war sehr gerne Lehrer und wusste die Schüler zu begeistern: Weil er ihnen nicht nur Wissen vermittelte, sondern sie stets als Mensch ernst nahm und ihnen mit Achtung begegnete.

Nichtsdestotrotz litt er an der Schule als Institution mit ihren bürokratischen Vorgaben und der mangelnden Bedeutung der Bildung.

Nicht nur darüber konnten wir uns immer mit ihm austauschen, sondern über viele gesellschaftspolitischen Probleme und ihre Relevanz für die Schule.

Er war das Zentrum unserer Lehrer-Schüler-Gruppe, die sich, seit den frühen 80er Jahren, über 20 Jahre mit Veranstaltungen und Aktionen zum Themenkreis Frieden und Abrüstung engagierte. Zu einer Zeit, als diese Themen auf heftige politische Vorbehalte stießen und im offiziellen Rahmen, z.B. in der Schule, nicht erwünscht waren.

Seine Vorstellungen, konstruktiv am Thema Frieden zu arbeiten, indem man den Austausch mit Osteuropa ermöglicht und institutionalisiert, konnten an der Schule damals leider noch nicht realisiert werden; fanden dann aber in seiner literarischen Arbeit ihren Niederschlag. Damit leistete er einen wichtigen und anerkannten Beitrag zur Versöhnung.

Ihn zeichnete Zivilcourage aus, gepaart mit Freude und Geduld, sich mit Anderen – auch Andersdenkenden – auseinanderzusetzen, wobei er auch bereit war, sich zurückzunehmen und zuzuhören.

Seinem unabhängigen Geist verdanken wir nicht nur scharfsinnige Analysen, sondern auch köstliche und bissige satirische Beiträge.

Er hat uns mit seinem Wissen, seinen Ideen und seinem unermüdlichen Engagement immer wieder aufgerichtet und mitgezogen.

Er war ein wundervoller Mensch.«

Heinz Pötzl

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Dr. Peter Kastner

Dr. Peter Kastner, Kultur-Referent der Stadt Esslingen: Nachruf für Anne Birk und Gerold Tietz, gehalten auf der Trauerfeier am 5. August 2009, Friedhof Esslingen St. Bernhardt:

»[…] Beide – Rosemarie wie Gerold Tietz – waren hoch angesehene Pädagogen, die ihr Wissen und ihre Sprache genutzt haben, um – in einer engen Lebens- und Arbeitspartnerschaft – literarisch zu wirken. […] Gerold Tietz war in der Öffentlichkeit eher der stille, zurückhaltende Autor. […] Gerold Tietz war ein scharfsinniger Erzähler mit hintergründigem Humor […] Verfechter einer kritisch-aufklärerischen Literatur […] das Vorbild, das sie uns gegeben haben, die Welt differenziert und kritisch zu betrachten […]«

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»Wir trauern um Rosemarie Tietz. Der schmerzliche Verlust ist nicht zu denken ohne den ebenso herben Verlust von Gerold Tietz nur wenige Tage zuvor.

Im Namen der Stadt Esslingen, des Kulturreferats, der Stadtbücherei, des Frauenbüros und des Dienstagskreises spreche ich den Hinterbliebenen mein Beileid aus. Die kulturelle und literarische Gemeinschaft Esslingens und darüber hinaus ist zutiefst betroffen vom Dahinscheiden der beiden geschätzten Autoren.

Beide – Rosemarie wie Gerold Tietz – waren hoch angesehene Pädagogen, die ihr Wissen und ihre Sprache genutzt haben, um – in einer engen Lebens- und Arbeitspartnerschaft – literarisch zu wirken.

So untrennbar sie im Leben und nun auch im Sterben waren, so unterschiedlich war ihre literarische Arbeit.

[…] Gerold Tietz war in der Öffentlichkeit eher der stille, zurückhaltende Autor. Sein Erstlingswerk, die „Satiralien“ war erst Ende der Achtziger Jahre erschienen und er hinterlässt fünf Werke, von denen die vier großen Romane einen engen Zusammenhang bilden.

[…] Gerold Tietz war ein scharfsinniger Erzähler mit hintergründigem Humor, dessen Thema auch in seiner Lebensgeschichte wurzelte – nämlich der Vertreibung aus den böhmischen Dörfern, die ihm „magische Orte waren, wo man das menschliche Zusammenleben modellhaft sichtbar machen kann“. So wurde er Autor einer tschechisch-deutschen Realität, zum Brückenbauer von Gemeinsamkeit und Verständigung jenseits aller Absurdität und Paradoxie, die dieses belastete Verhältnis kennzeichnete.

Eine unterschiedliche Literaturbiografie, verschiedene Themen und unterschiedlicher literarischer Ausdruck, aber dennoch einte beide eine enge Partnerschaft in Leben und Arbeit. Beider Werke sind von durchgehender Gemeinsamkeit durchzogen – der Missbilligung der gegebenen Zustände, der kritischen Inaugenscheinnahme von Geschichte und Gegenwart und der unerschütterlichen Überzeugung an eine bessere, gerechte Welt. Ich erinnere mich an ein langes Gespräch mit Anne Birk über den Eingangspassus von Ernst Blochs „Tübinger Einleitung in die Philosophie“. Dort heißt es: „Ich bin, aber ich habe mich nicht. Also müssen wir werden.“ Diese Utopie Blochs könnte das literarische Ansinnen beider Verstorbener kennzeichnen, verweist aber auch auf ihr Zueinander, das sie zum Verfechter einer kritisch-aufklärerischen Literatur machte. So war einer dem anderen doch ein alter ego, ein wie – Charles Baudelaire im Gedicht „Tod der Liebenden“ schreibt – „in unserer Doppelseele Widerschein“. Geros Sterben hat Rosemaries Herz gebrochen.

Was bleibt? Natürlich das Entsetzen über das Sterben beider. Aber da sind auch die unschätzbaren Erinnerungen an die Gespräche mit beiden, an die literarischen Abende in der Stadtbücherei, da ist das Vorbild, das sie uns gegeben haben, die Welt differenziert und kritisch zu betrachten und da sind ihre Bücher, die uns geblieben sind und die sie lebendig lassen. Und jeder Griff zu einem der Bände bringt sie uns zurück – nochmals Baudelaire – „weckt zu neuem Leben, neuer Schimmer erloschener Spiegel“.«

Dr. Peter Kastner

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Stadtbücherei Esslingen

Esslinger Zeitung | Stadtbücherei Esslingen: Gedenkveranstaltung für Anne Birk und Gerold Tietz, 10.10.2009 | von Elke Ebert

»[…] „Ihre Texte und Gedanken sind ihr Erbe.“ […] Beide verknüpften das Zeitgeschehen mit dem Alltag, zeigten exemplarisch die Auswirkungen von Politik und Geschichte auf das Leben und Schicksal des Einzelnen. […]«

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»“Wir haben ja den Himmel“

Stadtbücherei würdigt Anne Birk und Gerold Tietz

Eine intensive Lebens- und Arbeitsgemeinschaft verband Rosemarie und Gerold Tietz. Im Juli starben beide im Alter von 66 und 67 Jahren im Abstand von nur fünf Tagen. In der Stadtbücherei würdigten nun Schriftstellerkolleginnen, Mitstreiter und Weggefährten in einer Literarischen Hommage die unter dem Pseudonym Anne Birk schreibende „Ro“ und ihren Ehemann „Gero“ Tietz. Kulturreferent Peter Kastner betonte: „Esslingen hat zwei wichtige und kluge Schriftsteller verloren. Dieser Abend soll beide lebendig halten. Ihre Texte und Gedanken sind ihr Erbe.“

[…] Eineinhalb Stunden lang las die Schauspielerin Natascha Meyer konzentriert und mitreißend aus vorwiegend bisher unveröffentlichten Manuskripten der beiden Autoren. Gebannt und fast atemlos folgte ihr das Publikum im Kutschersaal. Deutlich wurde ihr besonderer Humor, ihre differenzierte Betrachtungsweise und mit welcher Eleganz und Präzision die beiden erzählen konnten. Wie wichtig es ihnen außerdem war, Kritik zu üben und sich für eine bessere Welt einzusetzen. Die Familie der Verstorbenen hatte die Geschichten und Erzählungen ausgesucht, sie beleuchteten auch das Verhältnis der beiden zueinander, ihre von tiefem Verständnis füreinander getragene Liebe. […]

Beide verknüpften das Zeitgeschehen mit dem Alltag, zeigten exemplarisch die Auswirkungen von Politik und Geschichte auf das Leben und Schicksal des Einzelnen. […] Romane und Erzählungen von Gerold Tietz spielen in seiner böhmischen Heimat. 2009 vollendete er seinen letzten Roman „Böhmische Grätschen“.

[…] Gerold Tietz unterrichtete am Wendlinger Gymnasium unter anderem Politik und Geschichte. Alexander Maier, ehemaliger Schüler und heute EZ-Redakteur, sagte: „Ich habe ihn als politisch bewussten, authentischen, aufrichtigen und liebenswerten Menschen kennen gelernt. Er hat klar Stellung bezogen – nicht laut, aber eindringlich. Das hat mich bis heute geprägt.“

In einer ihrer Erzählungen aus „Kreta“ schreibt Birk: „Wir brauchen keine Bücher mehr, wir haben ja den Himmel.“ Rosemarie und Gerold Tietz haben jetzt hoffentlich für immer den Himmel, wir haben zum Glück noch ihre Bücher.«

Autorin: Elke Ebert

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Martin Perraudin

Nachruf für Gerold Tietz, vom langjährigen Freund Martin Perraudin (stellvertretend gelesen von H.J. Jost) auf der Trauerfeier am 30. Juli 2009, Friedhof Esslingen St.Bernhardt

»[…] Genau so hast Du gelebt, habe ich Dich immer erlebt: politisch denkend bis in die Fingerspitzen, gegen jedes gesellschaftliche Klischee, gegen „Tümelei“ aller Art sowieso! […] Lieber Gero, kulturell, historisch wie politisch gebildet und engagiert, hast Du mir als Freund nicht nur Europas Osten geöffnet! – Sehr genossen habe ich auch unsere gemeinsamen Paris-Reisen! […] wir haben dort gemeinsam zum ersten Mal die neuesten Stücke von Václav Havel auf einer Kleinbühne gesehen („Ne soyez pas triste, buvez!“). Havel war damals noch verfolgter Dissident – als Präsident unvorstellbar! […] Aber zwischenzeitlich hat sich leider auch längst wieder der heimtückische Krebs an Dir zu schaffen gemacht. Unermüdlich hast Du aber weitergekämpft und weitergeschrieben. […] ein weiterer Höhepunkt Deines literarischen Schaffens: Du bist zu einer Lesung im Prager Literaturhaus eingeladen. […] Man merkt, diese Wochen haben Dich sehr viel Kraft gekostet. Aber Du bist überglücklich und höchst befriedigt über das große Interesse und den schönen Erfolg! […] Anfang Juni bist Du dann aber so geschwächt, dass Du Dich schweren Herzens nochmals ins Krankenhaus begibst. Dein Ziel ist klar: Du musst noch mal durch eine Chemo. Du willst noch mal soweit gekräftigt werden, dass Du die letzten 20 Seiten Deines nächsten Buches fertig schreiben kannst. – Es fehlen ja nur noch 20 Seiten – läppische 20 Seiten, die in Deinem Kopf ja längst fertig sind und nur noch aufs Papier müssen. […] Die nächsten, die letzten drei Wochen mag ich nicht schildern. […] Du lebst weiter in unseren Erinnerungen und unseren Gedanken, und in unseren Geschichten – und ganz besonders natürlich auch in Deinen Büchern!«

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»Liebe Verwandte und Freunde von Gero, liebe Mittrauernde,

Verzeihen Sie mir, aber ich will nicht vorrangig Sie oder Euch zum Adressaten meiner Worte machen, sondern ich möchte sie vor allem als meine Abschiedsworte an unseren lieben Gero richten.

Lieber Gero,

leider kann ich Dein Leben und unsere gemeinsamen Erlebnisse nicht so bunt und fulminant schildern wie Du es in „Annas Himmelfahrt“ in Deinem „Böhmischen Richtfest“ auf den Punkt bringst. Aber das macht wahrscheinlich den Unterschied zwischen Leben und Literatur?! Aber ich will mich bemühen, wenigstens einige gemeinsame Schlaglichter aufleuchten zu lassen.

Am Tag vor meinem Geburtstag 2007 rufst Du mich an und sagst: „Ich muss Dir schon heute alles Gute wünschen, denn morgen kann ich’s nicht. Ich muss unters Messer – der Krebs hat mich im Griff.“

Erst einige Wochen zuvor kam Dein Roman „Böhmisches Richtfest“ heraus und wurde in der Presse überaus positiv besprochen: „Gerold Tietz entwirft mit seiner Absage an Klischees und Heimattümelei und seinem satirischen Blick ein engagiertes Gegenbild zur vorherrschenden Vertriebenenliteratur.“ (schreibt Ulrike Rapp-Hirrlinger im Teckboten.)

Und nicht nur literarisch trifft diese Aussage auf Dich zu. – Genau so hast Du gelebt, habe ich Dich immer erlebt: politisch denkend bis in die Fingerspitzen, gegen jedes gesellschaftliche Klischee, gegen „Tümelei“ aller Art sowieso! – und „Satire“ ist allemal notwendig, sonst hält man die real existierende Wirklichkeit manchmal einfach nicht aus! Dabei bleibst Du immer ein hochsensibler und stets feiner Mensch. (Dein erstes Buch hieß nicht umsonst „Satiralien“.)

In seinem Todesjahr 2006 schrieb Robert Gernhardt folgendenes Gedicht:

Dialog:
– „Gut schaust du aus!“
– „Danke! Werd’s meinem Krebs weitersagen. Wird ihn ärgern.“

So kenne ich Dich, lieber Gero, seit nunmehr über 30 Jahren! – Wir haben uns einst kennen gelernt im Rahmen der Ost-West-Verständigung – lange bevor der „Eiserne Vorhang“ fiel (darauf hätten wir damals nicht zu hoffen gewagt!?!). Im Winter 1978/79 haben wir uns auf einer Studienfahrt des Kreisjugendrings nach Polen getroffen. – Ohne dass wir uns vorher kannten, wurden wir als Reiseleiterteam für eine 30köpfige Jugendgruppe ausgewählt. Für uns beide prägend wurde sicherlich der gemeinsame Besuch im KZ Auschwitz-Birkenau, wie aber auch der Ausnahmezustand dieses Winters, durch den wir unsere Gruppe bringen mussten:

– Wir reisten öffentlich mit Bus und Bahn
– Die Pferdeschlittenfahrt zu Silvester musste wegen Schneeschmelze entfallen.
– Zwei Tage später mussten wir die Fahrt nach Warschau dagegen bei minus 30 Grad C nach einer heißen Suppe mitten in der Nacht antreten
– In Warschau dann: AUSNAHME-ZUSTAND!

So haben wir uns damals immer besser kennen und verstehen gelernt! Eine wunderbare Freundschaft begann.

Aus unserer ersten gemeinsamen Polen-Reise ergaben sich dann viele weitere: Wir haben gemeinsam, zum Teil mit verschiedenen polnischen Freundinnen und Freunden, das Land von Süden nach Norden durchstreift:

– Zakopane und die Hohe Tatra
– Krakau und die Beskiden mit ihren Hinterlassenschaften der Geschichte.
– Tschenstochau und der erste Papstbesuch von Jan Palow – überall hieß es: „Niema piwo!“
– Und natürlich Danzig und die Kaschubei auf den Spuren von Oskar Matzerath, der damals gerade durch Volker Schlöndorff ins deutsche Kino kam

Vor 1989 haben wir auch gemeinsam Budapest erkundet und genossen. – An der Grenze sollten wir dann allerdings wieder zurück, weil wir uns nicht ordentlich an- und abgemeldet hatten (Grazina, die Schwiegermutter von Teresa, möge uns noch heute die sie danach getroffenen Sanktionen verzeihen!).

Lieber Gero, kulturell, historisch wie politisch gebildet und engagiert, hast Du mir als Freund nicht nur Europas Osten geöffnet! – Sehr genossen habe ich auch unsere gemeinsamen Paris-Reisen! Du als 68er Paris-Student, ich kannte Paris schon recht gut über meine dort lebende Tante, aber wir haben dort gemeinsam zum ersten Mal die neuesten Stücke von Václav Havel auf einer Kleinbühne gesehen („Ne soyez pas triste, buvez!“). Havel war damals noch verfolgter Dissident – als Präsident unvorstellbar!

In der Cartoucherie sahen wir Ariane Mnouchkines Uraufführung von Klaus Manns „Mephisto“ – und in der Pause parlierten wir mit ihr persönlich über die Schwierigkeiten, diese deutschen Themen zu behandeln.

Auch unsere völlig unpolitische Hausboot-Tour durch die Camargue bleibt mir unvergesslich. – Mit Dir konnte man auch gut die Seele baumeln lassen!

Italiens Erschließung verdanke ich auch Deiner Reiseplanung: Das Herzstück meiner Postkartensammlung ist eine Collage von Dir mit folgendem Text-Titel: „Rinascimento del mARTin Montepulciano“ — wieder mal ein Geburtstagsgruß!

Und auch das klassische Griechenland darf ich nicht auslassen: von Athen über Korinth auf den Peleponnes wäre ich allein recht ziellos getappt; Mykene, Epidauros, Arkadien – ich müsste es missen ohne Dich, ohne Euch!

Kreta war über lange Jahre Eure Sommer-Tank-Station. Ich möchte den „Pelikan“-Herbst nicht missen. Auch die blühenden Felder, die Orchideenwiesen und die violetten Frühlingsgladiolen könnte ich das ganze Jahr über genießen.

Ich könnte jetzt noch endlos weiter-fabulieren über Orte, Geschichten, Bücher, Filme, Theaterstücke, Ausstellungen, und, und, und.

Ich will statt dessen noch ein Gedicht von Robert Gernhardt zitieren:

Gut und Schlecht

„Die gute Nachricht
macht nichts verkehrt.
Sie wird überbracht,
und die Welt scheint verklärt.
Aber die schlechte Nachricht!

Die schlechte Nachricht
macht’s niemandem recht.
Wie du sie auch drehst,
sie ist und bleibt schlecht – :
So klingt keine gute Nachricht!“

Die schwere Operation im April 2007 hast Du zum Glück gut überstanden und dann hat Dich mitten im Genesungsprozess auch noch der Sudetendeutsche Kulturpreis für Literatur ereilt! – Da konnte es ja nur noch aufwärts gehen. „Gerold Tietz erhält die Auszeichnung für seine modellhafte Erinnerungsarbeit von hohem literarischem Rang.“ heißt es in der Laudatio.

So wird die Zeit seit dem Ausbruch Deiner Krankheit zu einer immens intensiven Lebens- und Arbeitszeit. Der nächste Band der Böhmen-Trilogie muss unbedingt noch fertig werden!

Im Mai 2008 fand dann anlässlich des 60. Geburtstags der Künstlergilde Esslingen die Uraufführung mit dem Malinconia-Ensemble statt: Eine Textpassage aus Deinem „Böhmischen Richtfest“ wurde von Dietmar Gräf eindrucksvoll vertont. Auch Deine Kontakte nach Tschechien wurden immer noch breiter und tiefer. Ich erinnere nur an Deine letzten Aufenthalte und Seminare in Olmütz und Aussig.

Aber zwischenzeitlich hat sich leider auch längst wieder der heimtückische Krebs an Dir zu schaffen gemacht. Unermüdlich hast Du aber weitergekämpft und weitergeschrieben.

Im Januar diesen Jahres dann das einstündige Radio-Feature zum „Böhmischen Richtfest“. Im April dann ein weiterer Höhepunkt Deines literarischen Schaffens: Du bist zu einer Lesung im Prager Literaturhaus eingeladen.

Du schreibst mir von dort mal wieder eine Geburtstagskarte:

„In einem Blütenrausch bin ich 10 (!) Stunden von Esslingen nach Prag gefahren. Die Lesung beim Prager Literaturhaus war eine gelungene Sache, nur muss ich zu den Literaturwissenschaftlern Abstand halten, sonst komme ich nicht mehr zum Schreiben.“

In Prag stellst Du druckfrisch Dein Buch „Böhmische Grätschen“ vor und bekommst auch gleich eine Übersetzung ins Tschechische zugesagt. Aus Prag zurück machst Du noch eine erfolgreiche Vorstellung der „Böhmischen Grätschen“ in der Stadtbücherei in Esslingen.

Man merkt, diese Wochen haben Dich sehr viel Kraft gekostet. Aber Du bist überglücklich und höchst befriedigt über das große Interesse und den schönen Erfolg!

Anfang Juni bist Du dann aber so geschwächt, dass Du Dich schweren Herzens nochmals ins Krankenhaus begibst. Dein Ziel ist klar: Du musst noch mal durch eine Chemo. Du willst noch mal soweit gekräftigt werden, dass Du die letzten 20 Seiten Deines nächsten Buches fertig schreiben kannst. – Es fehlen ja nur noch 20 Seiten – läppische 20 Seiten, die in Deinem Kopf ja längst fertig sind und nur noch aufs Papier müssen.

Noch im Krankenhaus empfängst Du gar eine tschechische Doktorandin, die Deine Bücher in ihre Doktorarbeit einbeziehen will. Du vollbringst einen weiteren Kraftakt in einem 1½-stündigen konzentrierten literarischen Gespräch.

Die geplante Chemo wird einen Tag vorgezogen, muss aber vorzeitig abgebrochen werden, weil Dein Körper sich wehrt und überreagiert. Wenige Tage später habe ich Dich überraschender Weise zu Hause am Telefon: Du klingst schwach, willst aber keinen Besuch am Wochenende. „Vielleicht bin ich bis dahin schon auf meiner böhmischen Himmelfahrt.“ bekomme ich von Dir als Erklärung zu hören.

Die nächsten, die letzten drei Wochen mag ich nicht schildern.

Ich lasse dafür lieber nochmals Robert Gernhardt zu Wort kommen:

Worte, Worte

„Wie schön das blühende Leben!
Da kommt und da geht
ein bezauberndes Wesen,
neigt sich flüchtig zu dir,
muß zurück zu Tresen:
Daß es das gibt! Doch auch das wird sich geben.

Wie schrecklich das welkende Sterben!
Da liegt und da leidet
der Freund auf dem Schragen,
schließt bleich die Augen
und verschließt sich den Fragen:
Das gibt es bei Gott! Das finale Verderben.

Wie heillos das hilflose Hinsehn!
Da stockt und da schweigt
die Zunge vorm Leben
grad wie vorm Sterben,
gelähmt das Bestreben,
festzuhalten, da doch alle dahingehn.“

Bei unserer vorletzten Begegnung hast Du noch versucht, mir etwas zu sagen – ich habe Dich leider aber nicht mehr vollständig verstanden. „Ich hab Dir einen Platz im Schwäbischen?!… reserviert.“ Dein letzter mir klar verständlicher Satz war dann noch: „Ich glaube, wir müssen uns jetzt verabschieden.“

So ist es leider gekommen, lieber Gero. Ich bin froh, dass Du nicht weiter kämpfen und leiden musstest!

Aber: Du lebst weiter in unseren Erinnerungen und unseren Gedanken, und in unseren Geschichten – und ganz besonders natürlich auch in Deinen Büchern!

Ich vermisse Dich schon heute.

Martin«

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